Sonntag, 8. Juli 2012

Comics. Der Versuch einer Definition.

von Denis Hundhausen

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Vorweg muss gesagt werden, dass es noch immer keine einheitliche, unstrittige Definition dazu gibt, was ein Comic ist[1]. Sicher ist soviel: Der Begriff „Comic“ als Mediumsbezeichnung stammt aus dem Amerikanischen und hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg auch in Europa verbreitet[2]. Dabei handelt es sich bei „Comic“ zunächst um „einen unscharfen Sammelbegriff für moderne Bildgeschichten“[3]. Seinen Ursprung hat der moderne Comic bereits in den 1890ern[4], massenwirksam verbreitet wurde er in den 1920ern in Form sog. „Comic Strips“ in us-amerikanischen Tageszeitungen[5]. Demgegenüber zu differenzieren sind „Comic Books“ (dt. Comic-Hefte), die eigenständig publiziert eine Handlung über mehrere Seiten erstrecken. Durch dieses neue Format, welches Mitte der 1930er entwickelt wurde, entstand bald eine eigene Comic-Sprache in Bezug auf die Anordnung der Panels (dt. Einzelbilder[6]), Layout der Seite, Dynamik, Lesefluss etc.[7]

Von diesen beiden Begriffen noch einmal zu trennen ist die sog. „Graphic Novel“ (dt. etwa Comic-Roman[8]). Dieser Begriff geht auf Will Eisner zurück[9]. Richteten sich Comics zunächst an ein überwiegend junges männliches Publikum[10], so findet sich in den Graphic Novels die Erwachsenwerdung des Comics[11] mit ernsteren Themen in Form von abgeschlossenen Handlungen über eine oder mehrere Bände verteilt[12]. Inzwischen, so muss angemerkt werden, wird dieser Begriff von den Marketingabeteilungen diverser (deutscher) Verlage sehr inflationär gebraucht, so dass seine ursprüngliche Bedeutung verwässert wird[13].
Während Comic Strips also nur einen kleinen Teil einer Seite einer Zeitung einnehmen, haben Comic Books (in den USA) den Umfang von ca. 22 Seiten und sind i.d.R. geklammert[14]. Graphic Novels hingegen haben keine vorgegebene Anzahl an Seiten[15], sie sind in der Regel gebunden oder geleimt. Ein überformatiges, meist aus dem deutschen oder franko-belgischem Raum stammendes Comic wird im deutschsprachigen Raum meist als „Album“ bezeichnet (z.B. die Bände der Serie „Asterix“[16]).
Doch dies sind erstmal nur formale Kriterien. Der große Streitpunkt in der Definitionsfrage des Comics an sich liegt darin, welche Relevanz man der Schrift im Comic beimisst. Grob gesagt kann man in zwei Definitionstypen unterscheiden: Die erste Definition geht davon aus, dass erst das Wort als integraler Bestandteil des Bildes einen Comic ausmacht[17], womit Geschichten auf antiken Webteppichen ebenso wenig Comics wären wie die Trajanssäule in Rom.
Der zweite Definitionstypus hingegen ist die Definition nach Scott McCloud: Nach ihm sind Comics bildliche oder andere Zeichen, die zu räumlichen Sequenzen angeordnet sind und Informationen vermitteln und/oder eine ästhetische Wirkung bei dem Betrachter erzeugen wollen[18]. Diese Definition beinhaltet zweierlei: Zum einen ist das Vorhandensein von Sprache (z.B. in Sprechblasen) kein Minimalkriterium für einen Comic[19],[20], zum anderen sind einzelne Bilder (z.B. Karikaturen oder die Bilder Roy Lichtensteins[21]) auch kein Comic. Zwar gibt es auch Comicserien, bei denen eine einzelne Folge nur aus einem Bild bestehen kann – also ohne sequentiellen Charakter – allerdings wird „ihr Status als Sequenz […] durch die Zugehörigkeit zu einem Ganzen gesichert, das viele weitere Bilder neben dem einzelnen heraufbeschwört“[22].
Mit der McCloudschen Definition scheint mir der Begriff „Comic“ am trennschärfsten abgegrenzt zu sein, auch wenn es daneben noch anders lautende Definitionen geben mag.
Klar ist, dass der Comic eine eigene Kunstform ist und nicht etwa die Tochtergattung der Literatur oder der Malerei: Der Comic „schafft seine Werke auf eine Weise, die nur ihm zu eigen ist. […] [Man kann] einen Comic auch nicht einfach zeichnen oder schreiben, sondern man kann ihn nur zeichnen und schreiben […]“[23]. Anzumerken ist noch, dass das Wort „zeichnen“ hier nicht allzu technisch verstanden werden darf: Nach der Definition McClouds ist es unerheblich, ob die einzelnen Bilder gezeichnet sind oder beispielsweise Skulpturen, Schnitzereien, Steinmetzarbeiten etc. – „die Ausdrucksform Comic ist unabhängig von der künstlerischen Tätigkeit“[24]. Obschon die Schrift also kein hinreichendes Kriterium für die Definition eines Comics ist, sondern alleine die sequenzielle Bildfolge, so weist doch ein Großteil aller Comics eine synthetische Verbindung von Schrift und Bild auf. Dabei ergänzt jeweils das eine das andere, die Schrift ist im Bild platziert und beides zusammen ergibt erst die vollständige Handlung[25]. Daher kann man diese Verbindung aus Schrift und Bild also als ein wichtigstes Merkmal des Comics festhalten, auch wenn sie nicht zwingend notwendig ist, damit ein Comic ein Comic ist.
Das mediumstypische Erzählen liegt in der Beschaffenheit der Seite: Der Comic muss deduktiv gelesen werden, „Deduktion meint hier den Übergang von der ganzen Seite zum Einzelbild“[26]. Der formale Aspekt des Seitenarrangements kann also auch eine narrative Funktion haben[27]: Es lenkt den Blick des Lesers, führt auf bestimmte Panels hin und baut so natürlich eine gewisse Spannung auf. Jedoch ist Comiclektüre immer auch elliptischer Natur: Das was „zwischen“ den Bildern geschieht, muss der Betrachter mit seiner eigenen Imagination hinzudenken[28]. Daraus ergibt sich das Phänomen, dass Comics in Bildern, in Schrift, aber auch zwischen Bildern erzählen (können). In dieser Ellipse liegt auch der wesentliche Gattungsunterschied zwischen Comic und Film: Erzählt der Comic in einem Konglomerat aus sequentiellen Panels und Elipse, so erzählt der Film in zusammenhängenden, rapide aufeinander folgenden Bildern minimaler Veränderung, die beim Betrachter die Illusion von Bewegung heraufbeschwören – jedoch gänzlich unelliptisch[29]. Durch diese vielen Einzelbildern je Sekunde (in der Regel sind es 24[30]) kommt dem Einzelbild im Film keine Bedeutung mehr zu – der Zuschauer kann es mit seinen Augen schlicht nicht erfassen. Im Comic jedoch kann er im Endeffekt so lange auf dem Einzelbild verweilen, wie er möchte[31] (auch wenn ein guter Szenarist das Lesetempo beeinflussen kann).
Gleichsam nimmt der Leser aber immer zuerst die ganze Seite wahr[32], die ihrerseits eine „ästhetische Grundstimmung“[33] erzeugt, die „der eigentlichen Lektüre voraus[geht] und für sie die Basis [legt]“[34]. Allerdings ist dies kein konstituierendes „Muss“ für einen Comic. Es kann auch bei einer bloßen, sequentiellen Anreihung an Einzelbildern bleiben.


Zur weiteren Lektüre empfohlen:
Eckhart Sackmann, Comic. Kommentierte Definition, 2010, 4. http://www.comicforschung.de/pdf/dc10_6-9.pdf


Literatur
  • Will Eisner, Comics and sequential art, 27. Auflage, Tamarac 2005.
  • René Goscinny/Albert Uderzo, Asterix der Gallier, 10. Aufl., Hamburg 1986.
  • Dietrich Grünewald, Comics, Tübingen 2000.
  • Andreas C. Knigge, Alles über Comics, Hamburg 2001.
  • Scott McCloud, Understanding Comics, New York 2000.
  • Ralf Paul, Helden, IPP Verlag Kerpen, ab 1997
  • Andreas Platthaus, Die 101 wichtigsten Fragen – Comics und Manga, München 2008.
  • Andreas Platthaus, Fumetti - Der Comic schwebt zwischen den Extremen, In: Kasper Maase (Hg.), Die Schönheiten des Populären, Frankfurt/Main 2008.
  • Andreas Platthaus, Im Comic vereint – Eine Geschichte der Bildgeschichte, Frankfurt am Main/Leipzig 2000.
  • Eckhart Sackmann, Comic. Kommentierte Definition, 2010, 4.             http://www.comicforschung.de/pdf/dc10_6-9.pdf (08.07.2012, 22:15)

 
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Version I: 08-07-2012, 22:44
 

[1] Platthaus, Fumetti, 133.
[2] Grünewald, Comics, 3.
[3] A.a.O.
[4] Vgl. a.a.O.
[5] A.a.O.
[6] Vgl. Platthaus, Wichtigsten Fragen, 23.
[7] Vgl. a.a.O.
[8] Vgl. ebd., 4.
[9] Knigge, Alles über Comics, 322.
[10] Eisner, Comics and sequential art, 141.
[11] Vgl. ebd., 141f.
[12] Grünewald, Comics, 4.
[13] Sackmann, Comic. Kommentierte Definition, 4.
[14] Der Umfang ist in Deutschland anders, da hier zulande als Comic Book nur übersetzte US-amerikanische Comics erscheinen und ein deutsches Comic-Heft meist zwei oder drei amerikanische Comic Books sammelt. Es bleibt jedoch bei der Klammerung. Deutsche Künstler veröffentlichen bis auf sehr wenige Ausnahmen (Ralf Paul, Helden) eher in Form von Graphic Novels oder als Alben nach franko-belgischem Vorbild.
[15] Vgl. Platthaus, Wichtigsten Fragen, 31.
[16] Uderzo/Goscinny, „Asterix der Gallier“.
[17] Vgl. Platthaus, Fumetti, 134.
[18] Vgl. McCloud, Understanding Comics, 9.
[19] Vgl. Grünewald, Comics, 4.
[20] Daher gibt es auch eine nicht zu übersehende Anzahl an sog. „Stummcomics“, vgl. Platthaus, Wichtigsten Fragen, 33.
[21] vgl. Platthaus, Wichtigsten Fragen, 118.
[22] Platthaus, Im Comic vereint, 13.
[23] Platthaus, Wichtigsten Fragen, 115.
[24] Sackmann, Comic. Kommentierte Definition, 2.
[25] Vgl. Platthaus, Wichtigsten Fragen, 115f.
[26] Platthaus, Fumetti, 139.
[27]Vgl. a.a.O.
[28] Vgl. Sackmann, Comic. Kommentierte Definition, 3.
[29] Vgl. Platthaus, Im Comic vereint – Eine Geschichte der Bildgeschichte, 13.
[30] Vgl. a.a.O.
[31] A.a.O.
[32] vgl. Platthaus, Fumetti, 139.
[33] A.a.O.
[34] A.a.O.

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