von Denis Hundhausen
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Vorweg muss gesagt werden, dass es noch immer keine
einheitliche, unstrittige Definition dazu gibt, was ein Comic ist[1]. Sicher ist soviel: Der Begriff „Comic“
als Mediumsbezeichnung stammt aus dem Amerikanischen und hat sich seit dem
Zweiten Weltkrieg auch in Europa verbreitet[2]. Dabei handelt es sich bei „Comic“
zunächst um „einen unscharfen Sammelbegriff für moderne Bildgeschichten“[3]. Seinen Ursprung hat der moderne Comic
bereits in den 1890ern[4], massenwirksam verbreitet wurde er in
den 1920ern in Form sog. „Comic Strips“ in us-amerikanischen Tageszeitungen[5]. Demgegenüber zu differenzieren sind
„Comic Books“ (dt. Comic-Hefte), die eigenständig publiziert eine Handlung über
mehrere Seiten erstrecken. Durch dieses neue Format, welches Mitte der 1930er
entwickelt wurde, entstand bald eine eigene Comic-Sprache in Bezug auf die
Anordnung der Panels (dt. Einzelbilder[6]), Layout der Seite, Dynamik, Lesefluss
etc.[7]
Von diesen beiden Begriffen noch einmal zu trennen ist die
sog. „Graphic Novel“ (dt. etwa
Comic-Roman[8]). Dieser Begriff geht auf Will Eisner zurück[9].
Richteten sich Comics zunächst an ein überwiegend junges männliches Publikum[10], so findet sich in den Graphic Novels
die Erwachsenwerdung des Comics[11] mit ernsteren Themen in Form von
abgeschlossenen Handlungen über eine oder mehrere Bände verteilt[12]. Inzwischen, so muss angemerkt werden,
wird dieser Begriff von den Marketingabeteilungen diverser (deutscher) Verlage
sehr inflationär gebraucht, so dass seine ursprüngliche Bedeutung verwässert
wird[13].
Während Comic Strips also nur einen kleinen Teil einer Seite
einer Zeitung einnehmen, haben Comic Books (in den USA) den Umfang von ca. 22
Seiten und sind i.d.R. geklammert[14]. Graphic Novels hingegen haben keine
vorgegebene Anzahl an Seiten[15], sie sind in der Regel gebunden oder
geleimt. Ein überformatiges, meist aus dem deutschen oder franko-belgischem
Raum stammendes Comic wird im deutschsprachigen Raum meist als „Album“
bezeichnet (z.B. die Bände der Serie „Asterix“[16]).
Doch dies sind erstmal nur formale Kriterien. Der große
Streitpunkt in der Definitionsfrage des Comics an sich liegt darin, welche
Relevanz man der Schrift im Comic beimisst. Grob gesagt kann man in zwei
Definitionstypen unterscheiden: Die erste Definition geht davon aus, dass erst
das Wort als integraler Bestandteil des Bildes einen Comic ausmacht[17], womit Geschichten auf antiken
Webteppichen ebenso wenig Comics wären wie die Trajanssäule in Rom.
Der zweite Definitionstypus hingegen ist die Definition nach
Scott McCloud: Nach ihm sind Comics bildliche oder andere Zeichen, die zu
räumlichen Sequenzen angeordnet sind und Informationen vermitteln und/oder eine
ästhetische Wirkung bei dem Betrachter erzeugen wollen[18].
Diese Definition beinhaltet zweierlei: Zum einen ist das Vorhandensein von
Sprache (z.B. in Sprechblasen) kein Minimalkriterium für einen Comic[19],[20],
zum anderen sind einzelne Bilder (z.B. Karikaturen oder die Bilder Roy
Lichtensteins[21]) auch kein Comic. Zwar gibt es auch
Comicserien, bei denen eine einzelne Folge nur aus einem Bild bestehen kann –
also ohne sequentiellen Charakter – allerdings wird „ihr Status als Sequenz […]
durch die Zugehörigkeit zu einem Ganzen gesichert, das viele weitere Bilder
neben dem einzelnen heraufbeschwört“[22].
Mit der McCloudschen Definition scheint mir der Begriff
„Comic“ am trennschärfsten abgegrenzt zu sein, auch wenn es daneben noch anders
lautende Definitionen geben mag.
Klar ist, dass der Comic eine eigene Kunstform ist und nicht
etwa die Tochtergattung der Literatur oder der Malerei: Der Comic „schafft
seine Werke auf eine Weise, die nur ihm zu eigen ist. […] [Man kann] einen
Comic auch nicht einfach zeichnen oder schreiben, sondern man kann ihn nur
zeichnen und schreiben […]“[23]. Anzumerken ist noch, dass das Wort
„zeichnen“ hier nicht allzu technisch verstanden werden darf: Nach der
Definition McClouds ist es unerheblich, ob die einzelnen Bilder gezeichnet sind
oder beispielsweise Skulpturen, Schnitzereien, Steinmetzarbeiten etc. – „die
Ausdrucksform Comic ist unabhängig von der künstlerischen Tätigkeit“[24].
Obschon die Schrift also kein hinreichendes Kriterium für die Definition eines
Comics ist, sondern alleine die sequenzielle Bildfolge, so weist doch ein
Großteil aller Comics eine synthetische Verbindung von Schrift und Bild auf.
Dabei ergänzt jeweils das eine das andere, die Schrift ist im Bild platziert
und beides zusammen ergibt erst die vollständige Handlung[25].
Daher kann man diese Verbindung aus Schrift und Bild also als ein wichtigstes
Merkmal des Comics festhalten, auch wenn sie nicht zwingend notwendig ist,
damit ein Comic ein Comic ist.
Das mediumstypische Erzählen liegt in der Beschaffenheit der
Seite: Der Comic muss deduktiv gelesen werden, „Deduktion meint hier den
Übergang von der ganzen Seite zum Einzelbild“[26].
Der formale Aspekt des Seitenarrangements kann also auch eine narrative
Funktion haben[27]: Es lenkt den Blick des Lesers, führt
auf bestimmte Panels hin und baut so natürlich eine gewisse Spannung auf. Jedoch
ist Comiclektüre immer auch elliptischer Natur: Das was „zwischen“ den Bildern
geschieht, muss der Betrachter mit seiner eigenen Imagination hinzudenken[28].
Daraus ergibt sich das Phänomen, dass Comics in Bildern, in Schrift, aber auch
zwischen Bildern erzählen (können). In dieser Ellipse liegt auch der
wesentliche Gattungsunterschied zwischen Comic und Film: Erzählt der Comic in
einem Konglomerat aus sequentiellen Panels und Elipse, so erzählt der Film in
zusammenhängenden, rapide aufeinander folgenden Bildern minimaler Veränderung,
die beim Betrachter die Illusion von Bewegung heraufbeschwören – jedoch
gänzlich unelliptisch[29].
Durch diese vielen Einzelbildern je Sekunde (in der Regel sind es 24[30])
kommt dem Einzelbild im Film keine Bedeutung mehr zu – der Zuschauer kann es
mit seinen Augen schlicht nicht erfassen. Im Comic jedoch kann er im Endeffekt
so lange auf dem Einzelbild verweilen, wie er möchte[31]
(auch wenn ein guter Szenarist das Lesetempo beeinflussen kann).
Gleichsam nimmt der Leser aber immer zuerst die ganze Seite
wahr[32], die ihrerseits eine „ästhetische
Grundstimmung“[33] erzeugt, die „der eigentlichen Lektüre
voraus[geht] und für sie die Basis [legt]“[34].
Allerdings ist dies kein konstituierendes „Muss“ für einen Comic. Es kann auch
bei einer bloßen, sequentiellen Anreihung an Einzelbildern bleiben.
Zur weiteren Lektüre empfohlen:
Eckhart Sackmann, Comic. Kommentierte
Definition, 2010, 4. http://www.comicforschung.de/pdf/dc10_6-9.pdf
Literatur
- Will Eisner, Comics and sequential art, 27. Auflage, Tamarac 2005.
- René Goscinny/Albert Uderzo, Asterix der Gallier, 10. Aufl., Hamburg 1986.
- Dietrich Grünewald, Comics, Tübingen 2000.
- Andreas C. Knigge, Alles über Comics, Hamburg 2001.
- Scott McCloud, Understanding Comics, New York 2000.
- Ralf Paul, Helden, IPP Verlag Kerpen, ab 1997
- Andreas Platthaus, Die 101 wichtigsten Fragen – Comics und Manga, München 2008.
- Andreas Platthaus, Fumetti - Der Comic schwebt zwischen den Extremen, In: Kasper Maase (Hg.), Die Schönheiten des Populären, Frankfurt/Main 2008.
- Andreas Platthaus, Im Comic vereint – Eine Geschichte der Bildgeschichte, Frankfurt am Main/Leipzig 2000.
- Eckhart Sackmann, Comic. Kommentierte Definition, 2010, 4. http://www.comicforschung.de/pdf/dc10_6-9.pdf (08.07.2012, 22:15)
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Version I: 08-07-2012, 22:44
[1]
Platthaus, Fumetti, 133.
[2]
Grünewald, Comics, 3.
[3]
A.a.O.
[4]
Vgl. a.a.O.
[5]
A.a.O.
[6]
Vgl. Platthaus, Wichtigsten Fragen,
23.
[7]
Vgl. a.a.O.
[8]
Vgl. ebd., 4.
[9]
Knigge, Alles über Comics, 322.
[10] Eisner, Comics and sequential art, 141.
[11]
Vgl. ebd., 141f.
[12]
Grünewald, Comics, 4.
[13] Sackmann, Comic.
Kommentierte Definition, 4.
[14]
Der Umfang ist in Deutschland anders, da hier zulande als Comic Book nur
übersetzte US-amerikanische Comics erscheinen und ein deutsches Comic-Heft
meist zwei oder drei amerikanische Comic Books sammelt. Es bleibt jedoch bei
der Klammerung. Deutsche Künstler veröffentlichen bis auf sehr wenige Ausnahmen
(Ralf Paul, Helden) eher in Form von
Graphic Novels oder als Alben nach franko-belgischem Vorbild.
[15]
Vgl. Platthaus, Wichtigsten Fragen,
31.
[16]
Uderzo/Goscinny, „Asterix der Gallier“.
[17]
Vgl. Platthaus, Fumetti, 134.
[18] Vgl. McCloud, Understanding Comics, 9.
[19]
Vgl. Grünewald, Comics, 4.
[20]
Daher gibt es auch eine nicht zu übersehende Anzahl an sog. „Stummcomics“, vgl.
Platthaus, Wichtigsten Fragen, 33.
[21]
vgl. Platthaus, Wichtigsten Fragen,
118.
[22] Platthaus, Im Comic vereint, 13.
[23]
Platthaus, Wichtigsten Fragen, 115.
[24] Sackmann, Comic.
Kommentierte Definition, 2.
[25]
Vgl. Platthaus, Wichtigsten Fragen,
115f.
[26] Platthaus, Fumetti, 139.
[27]Vgl. a.a.O.
[28] Vgl. Sackmann, Comic.
Kommentierte Definition, 3.
[29] Vgl. Platthaus, Im Comic vereint – Eine Geschichte der
Bildgeschichte, 13.
[30] Vgl. a.a.O.
[31] A.a.O.
[32] vgl. Platthaus, Fumetti, 139.
[33] A.a.O.
[34] A.a.O.
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